21. März 2023

One Health – One Medicine: Von der Zoonose zur Pandemie?

Bonn. Am 09. und 10. März fand das diesjährige Frühjahrssymposium der Akademie für Tiergesundheit e. V. (AfT) in Montabaur statt. Im Rahmen der Veranstaltung referierten international anerkannte Experten über neue Erkenntnisse sowie Forschungsansätze zum hochaktuellen Themenkomplex „One Health – One Medicine: Von der Zoonose zur Pandemie?“.

Das durch die Akademie für Tiergesundheit ausgerichtete Symposium beleuchtete in diversen Fachvorträgen das Wissen und die gewonnenen Erfahrungen zu Epidemien und Pandemien, deren Auswirkungen und daraus resultierende Herausforderungen für die komplexe Lebensweise einer modernen Gesellschaft. Das Auditorium erhielt einen differenzierten Einblick zum Stand der Forschung zu Entstehung und Kontrolle von Seuchenausbrüchen sowie zu den Einschätzungen und möglichen Vorkehrungen im Hinblick auf künftige Pandemien. Konkret wurde ein Bogen vom „Schwarzem Tod“ im Mittelalter, über Dengue-Virus-Infektionen, die Afrikanische Schweinepest, Influenza-Viren und die Corona-Pandemie bis hin zur Antimikrobiellen Resistenz als „stille Pandemie“ gespannt.

Der besondere Ansatz des diesjährigen Symposiums lag in seiner Transdisziplinarität, ganz im Sinn von „One Health“ und dem Verständnis, dass die Gesundheit von Mensch und Tier wie auch eine intakte Umwelt eng miteinander zusammenhängen. Auch wenn nicht alle Disziplinen, wie etwa die Umweltwissenschaften, vertreten sein konnten, so wurde das Symposium durch eine wirtschaftswissenschaftliche und soziologische Betrachtungsweise von Pandemien und deren Folgen um weitere Aspekte bereichert.

„One Health“ als Schlüssel zur Pandemie-Prävention

Die Veranstaltung stellte den One Health-Gedanken als Lösungsansatz zur Vermeidung und Bekämpfung von zoonotischen Erkrankungen und Pandemien in den Vordergrund. Die innovative Methodik der Hochdurchsatz-DNA-Sequenzierung ermöglicht in einem archäogenetischen Ansatz eine Analyse Jahrhunderte und Jahrtausende alter Proben und erlaubt somit Rückschlüsse auf die Entstehung und Verbreitung historischer und prähistorischer Pandemien, wie beispielsweise der Pest.

In der heutigen Zeit begünstigen Globalisierung, Klimawandel, erhöhte Mobilität, mangelnde Biodiversität, geschädigte Ökosysteme und der intensive Austausch zwischen Mensch und Tier den Ausbruch von Infektionskrankheiten und die Entstehung von artübergreifenden Infektionsketten sowie von multiresistenten Erregern. Eine interdisziplinäre Betrachtung von Human- und Veterinärmedizin sowie die Berücksichtigung von klimatischen, ökologischen und sozialen Faktoren sind erforderlich, um den Herausforderungen zoonotischer Erkrankungen in Zukunft zu begegnen.

Von Influenza A bis Zika-Virus: Viren finden neue Verbreitungswege und Wirtsspektren

Eine Vielzahl von Erregern und Viren – unter anderem Coronaviren, Influenza A Viren und durch Mücken oder Zecken übertragene sogenannte Arbo (Arthropode Born)-Viren finden durch genetische Variabilität, Wirtswechsel, veränderte klimatische Bedingungen oder durch den erhöhten Reise- und Warenverkehr neue Verbreitungsgebiete und erweiterte Wirtsspektren.

Mit Ausbruch der SARS-CoV-2 Pandemie rückten besonders die Coronaviren verstärkt in den Fokus des öffentlichen Interesses. Bereits frühere Forschungen an in Fledermäusen und anderen Kleinsäugern wie Nagetieren nachgewiesenen Coronaviren lieferten Hinweise auf gemeinsame Vorfahren heutiger Viren in Menschen sowie Wild- und Nutztieren. Coronaviren treten sowohl als endemische Erreger bei einzelnen Spezies als auch als Erreger zoonotischer Infektionen auf. Die große Diversität und Fähigkeit einiger Coronaviren, einen Wechsel in eine neue Spezies zu vollziehen, machen die Forschung an Coronaviren auch künftig zu einem wesentlichen Bestandteil der Pandemie-Vorsorge.

Die COVID-Pandemie hat hierbei den Wert der Impfung nochmal besonders ins Licht gerückt. Moderne Impfstoffkonzepte, wie unter anderem mRNA- oder Vektorimpfstoffe, geben Hoffnung auf künftige Erfolge auch bei der Bekämpfung anderer schwerer Infektionskrankheiten. Kontinuierlich wird an Verbesserungen, wie etwa zur Dauer des Impfschutzes oder größerer Temperaturstabilität von Impfstoffen gearbeitet. Ein Ziel der Forschung sind außerdem sogenannte sehr breit wirksame „Pan“-Impfstoffe mit multiplen und speziell designten Antigenen.

Weltweit von großer Bedeutung sind durch Mücken und andere Arthropoden übertragene Erkrankungen. Bei dem vor allem in Südostasien und Mittel-/Südamerika verbreiteten Dengue-Virus sind Stechmücken die Überträger. Hier wurden in den letzten Jahren neben Impfstoffen große Fortschritte mit innovativen Methoden bei der Stechmückenkontrolle erzielt. So ist es gelungen, diese mit Wolbachia-Bakterien zu infizieren, wodurch der Vermehrungszyklus der Mücke gehemmt wird. Auch das Zika-Virus wird durch solche Mücken übertragen.

Influenza A Viren (IAV) besitzen durch ihre segmentierte Genomstruktur die Fähigkeit, ganze Genomsegmente auszutauschen und neu zu kombinieren. Auch fördern fehlende Korrekturmechanismen in der Genomreplikation die Entstehung von Punktmutationen. Die so entstehenden Tochter-Populationen können Selektionsvorteile unter sich verändernden Bedingungen vorweisen und somit eine Verbreitung der neuen Varianten begünstigen. Die aktuell zirkulierenden hochpathogenen aviären Influenzaviren (HPAIV) vom Subtyp  H5N1 gewinnen durch die globale Verbreitung auf nahezu allen Kontinenten besonders an Bedeutung. Sie bedrohen auch gefährdete Wildvogelarten und stellen die Geflügelproduktion mit zahlreichen Ausbrüchen vor große Probleme. Das zoonotische Potenzial nimmt durch enge Kontakte zwischen Mensch und Tier zu und es werden vermehrt Infektionen bei Säugetieren berichtet.  

Einige virale Infektionen stellen aufgrund der Komplexität und Widerstandsfähigkeit des Erregers, wie im Falle der Afrikanischen Schweinepest, auch weiterhin eine große Herausforderung für die Impfstoffentwicklung und anderer Bekämpfungsansätze dar. Gleiches gilt, wenn auch aus anderen Gründen, für die weltweite Kontrolle antimikrobieller Resistenzen.

Wie Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Thomas C. Mettenleiter, Präsident des Friedrich-Loeffler-Institutes, im Vortrag am Abend hervorhob, ist die aktuell vorherrschende aviäre Influenza durch H5N1 Viren heute durch die zahlreichen Übertragungen auf andere Tierarten, beispielsweise Seehunde und Robben, eine Panzootie. Übertragungen auf den Menschen wurden bisher nur in wenigen Einzelfällen nachgewiesen. Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigten aber, dass wichtige Pandemien des letzten Jahrhunderts überwiegend durch Influenzavieren verursacht wurden. Insofern könne nicht ausgeschlossen werden, dass eine künftige Pandemie unter Umständen durch ein solches Virus oder ein anderes zoonotisches Influenzavirus ausgelöst werden könnte. Mit über 8 Mrd. Menschen würde die Weltbevölkerung einen idealen Wirt für ein Virus bieten. Es sei daher außerordentlich wichtig, in der Pandemie-Vorbereitung alle Kompetenzen und Kapazitäten zu nutzen und Silo-Denken zu überwinden. One Health sollte dabei nicht nur in der Wissenschaft die Denkmuster prägen, sondern sollte für die Zukunft der Menschheit die Art zu leben werden.

Wirtschaftliche und soziologische Vulnerabilität der komplex vernetzten Gesellschaft

Die Bedeutung dieses umfassenden One Health-Ansatzes wurde durch die Betrachtung der Auswirkungen der COVID-Pandemie und der großen Vulnerabilität der Gesellschaft mit ihrem hohen und komplexen Vernetzungsgrad auch aus wirtschaftlicher und soziologischer Sicht deutlich. Makroökonomisch gebe es keine langfristigen Auswirkungen auf die Wirtschaft. Die Wirtschaft habe sich durch die in Deutschland ergriffenen Maßnahmen schnell erholt,  bis 2025 werden die Effekte nicht mehr sichtbar sein. Bei einer detaillierteren Betrachtung gebe es aber auch Veränderungen, die volkswirtschaftlich noch lange nachwirken könnten. Hierzu zählten Umstellungen der Lagerhaltung, Automatisierung und die Diversifizierung der Lieferketten, alles verbunden mit erhöhten Kosten. Auch in der Arbeitswelt wird mit langfristigen Nachwirkungen gerechnet. Festzustellen sei – trotz Arbeitskräftemangel – eine Zunahme der Langzeitarbeitslosigkeit.  Das Home-Office werde bleiben. Die entstandenen Defizite in der Bildung seien nur schwer auszugleichen.

Den Schlusspunkt setzte die Betrachtung der Pandemie aus soziologischer Sicht. So könne die Pandemie als Parabel auf Steuerungsprobleme in komplexen Systemen betrachtet werden. Hier bestehe bei der Reaktion auf eine Krise die Wahl zwischen einem Lockdown auf der einen Seite und die Entscheidung zur Selbstverantwortung, wie beispielsweise in der Corona-Pandemie die Entscheidung zur Impfung, auf der anderen Seite.

AfT-Förderpreis verliehen

Im Rahmen der Veranstaltung wurde der Förderpreis der Akademie für Tiergesundheit an Frau Dr. Mona Franziska Giersberg, Universität Utrecht, für ihre Forschung im Bereich Gesundheit und Wohlbefinden des Geflügels und weiterer Nutztierarten, einschließlich der Entwicklung und Anwendung sensorbasierter Technologien zum Tiermonitoring, verliehen. 

Die ausführlichen Abstracts der Referenten des AfT-Symposiums sind auf der Website der AfT veröffentlicht.